Der 1969 geborene Kläger, der derzeit eine befristete Erwerbsminderungsrente bezieht, infizierte sich im März 2021 mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Obwohl die dadurch verursachte Covid-19-Erkrankung einen milden Verlauf ohne schwerwiegende Symptome nahm, leidet der Kläger seitdem unter dem sogenannten „Post-Covid-Syndrom“ mit krankhaften Erschöpfungszuständen und psychischen Problemen in Form von Konzentrations-, Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen sowie phobischen Schwankschwindel.
Auf Antrag des Klägers stellte das zuständige Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Ausmaß einer schweren Störung, wie z.B. einer schweren Zwangskrankheit, werde beim Kläger nicht erreicht. Es fehle insbesondere an einem organischen Korrelat der beklagten Beschwerden.
Der Klage, mit der der Kläger die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft begehrte, hat das Sozialgericht Speyer unter Hinweis auf ein neurologisches Gutachten stattgegeben und das beklagte Land Rheinland-Pfalz zur Feststellung eines GdB in Höhe von 50 verurteilt.
Beim Kläger liegt eine organisch-psychische Störung vor, die in ihrer Gesamtheit mit einem GdB von 50 zu bewerten ist. Dabei handelt es sich - wie vom neurologischen Sachverständigen dargelegt - nicht um eine ursächlich psychische Erkrankung, wie zum Beispiel eine Depression oder psychosomatische Störung, sondern um eine organisch bedingte Folgeerkrankung der Covid-19-Infektion, die beim Kläger insbesondere mit gesteigerter geistiger und körperlicher Erschöpfbarkeit, Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen sowie Schwindel einhergeht (sogenanntes Post-Covid-Syndrom). Weil für das Post-Covid-Syndrom zur Beurteilung des Grades der Behinderung in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (noch) keine Anhaltswerte aufgeführt sind und die verschiedenen Symptome, die als Post-Covid-Syndrom zusammenfasst sind, unabhängig von der Ursache der Beschwerden, am ehesten mit denen des Chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) verglichen werden können, ist das Post-Covid-Syndrom an den Maßgaben von Teil B, Nr. 18.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) zu messen und jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Schwerbehindertenrechtlich stellt sich damit allein die Frage inwieweit die „Behinderung“ und die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen den Kläger in seiner Teilhabe beeinträchtigen. Zur Beantwortung sind die Anhaltswerte in Teil B, Nr. 3.7 VMG (Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen) heranzuziehen. Aus dem Umstand allein, dass dem Kläger eine befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt wird und er seine Arbeitstätigkeit seit der Infektion mit Covid-19 im März 2021 nicht mehr ausübt, folgt eine Höherbewertung des GdB nicht. Dieser ist grundsätzlich unabhängig von der beruflichen Situation zu beurteilen (vgl. VMG, Teil A, Nr. 2 a). Eine höhere Berücksichtigung ist aber insbesondere in Anbetracht der nahezu nicht mehr vorhandenen Funktionalität des Klägers bei aufgegebener Berufstätigkeit gerechtfertigt. Seit seiner Covid-19-Infektion verbringt der Kläger seine Tage - überwiegend ruhend und sozial zurückgezogen - zu Hause. Mittelgradige sozialen Anpassungsschwierigkeiten sind zu bejahen.
Sozialgericht Speyer, Urteil vom 03.06.2025 - S 12 SB 318/23, nicht rechtskräftig